WRITINGS
zwei Sätze für Klavierquartett, elektronische Klänge und Video auf vier Flächen, col-sw, 12:52 - 2008/09
Benjamin Spillner, Violine
Annette Hartmann, Viola
Pirkko Langer, Violoncello
Martin von der Heydt, Klavier
Das Stück basiert thematisch/inhaltlich auf einen Text des Philosophen Boris Groys. In diesem kommt komprimiert zur Sprache warum das hochgestimmte Projekt der Schaffung eines „neuen, d.h. kommunistischen Menschens“ scheitern musste. Für die Visualisierung arbeitete ich mit der Malerin und Graphikerin Dagmar Schenk-Güllich zusammen, die den Text sehr verschiedenartig zu Papier brachte. Schreibmittel waren Stifte, Federn, Pinsel, Farbschüttungen etc. Das Geräusch des intensiven Gebrauchs dieser ist daher permanent anwesend. Und eben auch sichtbar: die gesamte Visualisierung zeigt die graphische Wiedergabe des Groys’schen Textes auf verschiedenen Untergründen. Er ist nachstehend wiedergegeben:
„Der Sozialistische Realismus basiert auf der Marxschen Lehre des dialektischen und historischen Materialismus, für den die sozialistische Revolution die letzte Etappe auf dem Weg der dialektischen Entwicklung ist; die Zwischenetappen aber spielen die Rolle von Prototypen oder Symbolen, die dieses letzte und absolute Ereignis vorwegnehmen. Aus dieser gedanklichen Konstruktion entstand jene dialektische Radikalisierung der Avantgarde, die ihr als „metaphysischer“ und „idealistischer“ Strömung die Niederlage einbrachte: Für die Avantgarde war das eigene Projekt ein absolutes, war nicht dialektische Opposition gegenüber der Vergangenheit, sondern deren direkte Negierung; daher konnte sie nicht bestehen vor der totalen dialektischen Ironie des Stalinismus mit seiner Negation der Negation, die in der praktischen Sprache des dialektischen Materialismus die doppelte Vernichtung bedeutete, das heißt die unendliche Vernichtung der Vernichtenden, die Säuberung der Säubernden, die mystische Läuterung des menschlichen Materials mit dem Ziel der Schaffung eines „neuen Menschen“ im Namen des Staliinschen überirdischen transhistorischen „neuen Humanismus“. (aus: Boris Groys, „Gesamtkunstwerk Stalin: die gespaltene Kultur in der Sowjetunion“)