LA FIN DU DEVOIR (DIRE LA VÉRITÉ)

11Ch-Video, col-sw, 19:53, 2017

(Simulation der Bühnen/Raumsituation)

 

‚La fin du devoir (dire la vérité)‘ bedeutet ‚Das Ende der Pflicht (die Wahrheit zu sagen)‘. Bekanntlich ist der Begriff ‚Pflicht‘ inhaltlich weit verzweigt. Mit ihm wird einerseits Strenge, Sittlichkeit und Streben nach ethisch verantwortlichem Handeln assoziiert. Im Kunstzusammenhang ist ‚Strenge‘ (andererseits) eine Chiffre für hoch selbstkontrollierende, künstlerische Arbeitsweisen. Künstler haben nicht nur die Pflicht ‚strenge‘ Klang- und BildSysteme zu erfinden, sondern diese auch ‚streng‘ auszuarbeiten um konsistente, im besten Fall innovative Werke zu schaffen. Mit dem ‚Ende der Pflicht‘ wäre also auch das Ende der ‚Strenge‘ eingeläutet, ein Vorwurf, der der ästhetischen Postmoderne gern unterstellt wird: Unerträglich für die einen, Aufatmen bei den anderen. Ich habe in meinem Video versucht diese konträren Vorstellungen von ‚Strenge‘ zu kombinieren. In der Musik sind z.B. strenge Form und Formwahrnehmung von untergeordnetem Interesse, während das Video extrem formalisiert und strukturiert erscheint. Die Gleichzeitigkeit dieser differierenden Erscheinungsformen läßt eine Spannung entstehen, die die intermediäre Wahrnehmung prägt - und in der Summe Neues entstehen läßt. -

 

 

Einer, der sich paradigmatisch aller Pflichten entledigt und damit auch noch eine Menge Ruhm einheimst, ist die Dichterfigur Baal, den Bertolt Brecht nach dem 1. Weltkrieg 1918/19 erfindet und im gleichnamigen Drama zum Leben erweckt. Der Dichter Baal ist ein ebenso genialer wie skrupelloser LÜGNER, der seine Nächsten, insbesondere die sich in ihn verliebenden jungen Frauen, mit poetischer Gründlichkeit (und beeindruckend männlicher Präsenz) narkotisiert. Einige von ihnen bezahlen ihre fatale Nähe zu ihm, nachdem sie des Dichters Immoralität aus nächster Nähe erleben durften, mit dem Tod. Ein Verhängnis, das sich seitdem durch viele Künstlerbiographien zieht. Werden Leiden und Tod durch das geniale Werk legitimiert? Oder sind die Zeilen das Papier nicht wert auf dem sie geschrieben sind? Eine Antwort darauf ist bis auf weiteres unmöglich. - Volker Schlöndorffs Verfilmung (D 1969) des Brechtschen Dramas zeigt Baal im München der späten 1960er Jahre. Kaum jemand hat BAAL so gut dargestellt wie der junge Rainer Werner Fassbinder. Ausschnitte aus Schlöndorffs Film habe ich für mein Stück ausgewählt und kontrafakturiert. Das von mir verwendete Verfahren macht aus der Dramenfigur Baal ein audiovisuelles Objekt (u.v.a.), das dekonstruiert und mit musikalisch kompositionstechnischen Mitteln zu neuem, jetzt intermediär postnarrativem Leben erweckt wird. (D.H.)