FENST IANTI

11Ch-Video, col-sw, 24:07, 2018

(Simulation der Bühnen/Raumsituation)

 

Michael Landmann (1913-1984) war ein jüdischer Philosoph, der, nachdem er den größten Teil seines (beruflichen) Lebens in Deutschland verbracht hatte, aus Trauer um den wiedererstarkenden Antisemitismus, - der sich bis heute notdürftig hinter Begriffen wie ‚Antizionismus‘ und ‚Israelkritik‘ versteckt -, nach Israel emigrierte. Im Alter von 65 Jahren (1978) beschloss er für den Rest seines Lebens in Israel zu wohnen; bis zu seinem Tod 1984 lebte er in Haifa. Das hier wiedergegebene Zitat stammt aus seinen Tagebüchern, die zwischen 1967 und 1981 entstanden. Wer die menschliche Fähigkeit zur Empathie nicht für Schwäche hält, sie daher wertschätzt und für die Verbindung von individueller Biographie mit allgemeiner Zeitgeschichte sensibilisiert ist, wird in den Sätzen Landmanns jene unaussprechliche Trauer wiederfinden, die charakteristisch ist für die, die die „12 Mord- und Verfolgungsjahre“ überlebt haben:

 

„Mit meinem Denken und Wissen bleibe ich ein Produkt der deutschen Kultur. Doch ist diese Solidarität mit Deutschland als Geschichtskörper durch Hitler im letzten zerstört. Mit den Juden bin ich durch keine gemeinsame Tradition verbunden, die ich erst spät lernte. Aber ich bin ihnen durch meinen Ursprung verbunden und durch gemeinsames Schicksal. Die Solidarität mit ihnen, mit Israel, ist eine absolute. Mit den Menschen, die ich hier treffe, teile ich dieselben Sorge. Daher bin ich, wenn auch von außen kommend, doch bei ihnen, mehr als irgendwo sonst zuhause. Meine Fremdheit ist nur eine periphere, eine Zufallsfremdheit.

Ich betrachte hier Bäume, Meer und Berge anders als in Europa. Die Welt des Sichtbaren läßt sich nicht isolieren. In das Gesehene geht mehr ein als das, was die photographische Platte (oder das Video D.H.) festhält (...). In dieses Land pflanzt sich die einzige verbleibende Hoffnung der 12 Verfolgungs- und Mordjahre. Diese Hoffnung strahlt aus jedem Baum zurück. (...) Haifa ist eine nüchterne moderne Hafen- und Kaufmannsstadt (...). Schon immer wohnte ich gern an einem Hang über dem Meer (...). Trete ich morgens auf meinen Balkon, so wirkt auch der Winter sommerlich durch die Wärme und durch das Grün aller Bäume. Unter mir Kiefern und Palmen, hinter ihnen begrüßt mich das tolle Blau des Meeres. (...) Wer nur auf dem Festland, ohne See und praktikablen Fluß, aufwächst, in dessen Erziehung bleibt immer etwas versäumt. Das Meer enthält in archaischer Komplexität durch seine Weichheit und bewegt schimmernde Oberfläche die Wurzeln zur Liebe - nicht umsonst entstieg ihm Aphrodite -, dadurch, dass es den Blick schweifen läßt und zur Fahrt einlädt, die Wurzeln zur Philosophie.“ (zit. nach: Michael Landmann, Jüdische Miniaturen, Bd.II)

 

Umgekehrt muss ergänzt werden: In die Betrachtung der europäischen, speziell der deutschen Berge, Seen und Bäume fließt ebenfalls mehr ein als die Sichtbarkeit der Idylle wiedergibt. Der oberbayrischen Landschaft, die vor Schönheit zittert, ist für immer auch das Grauen eingeschrieben, das sich hier (und vielerorts in Deutschland) ereignete. Eva Brauns berühmte Inszenierungen idyllischer Urlaubstage beweisen, dass der Schönheit nicht zu trauen ist. Nie mehr! Jetzt, nachdem die Entourage der Massenmörder ihre fröhlich-ausgelassenen Urlaubserinnerungen auf Schmalfilm festhielt und diese der Nachwelt erhalten blieben, gilt der Satz mehr denn je. Die ausgelassen Badenden sind Teil des industriell betriebenen Mordkomplotts, das nicht weit von ihnen ins Werk gesetzt wird. Ihre angestrengte Ausgelassenheit ist (aber) schon sichtbarer Ausdruck dafür, dass „etwas nicht stimmt“. Idylle, Erhabenheit und Schönheit verlieren ihre Unschuld. Ab jetzt sind sie infiziert mit einem mörderischen Erwähltheitsdünkel, der aus jedem Berg, jedem See, jedem Baum herausschreit. Jedweder Sittlichkeit spotten sie und sprechen Hohn allem Mitleid! Das Schöne, dem das „sittlich Schöne“ einwohnte, ist für alle Zeiten als naiv-unerträgliches Hirngespinst entlarvt. (D.H.)